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K.P. Andrießen:

Journalist

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Veröffentlicht im Weilburger Tageblatt und auf mittelhessen.de

Wenn Klassik die Bühne rockt

Intendant Schreckenberger verrät Hintergründe
zum Programm der Weilburger Schlosskonzerte 2024

Weilburg. Warum ein Pianist ohne Worte Geschichten erzählen kann, wieso er drei von 45 Weilburger Schlosskonzerten den Zuhörern ganz besonders ans Herz legt oder weshalb die Musik sonntagabends jetzt erst ab 19.30 Uhr spielt, das erklärt Intendant Stephan Schreckenberger kurz vor dem Saisonstart am Freitag im Interview mit dem Weilburger Tageblatt.

 

Herr Schreckenberger, folgen Sie bei Ihrer Konzertplanung einem roten Faden?
Stephan Schreckenberger: „Mir kommt es darauf an, dass die Zuhörer im Programm vieles finden, das sie anspricht. Deshalb sorge ich für eine ausgewogene Mischung von Klassik mit Jazz, Folk, Kabarett und etwas Pop. Entscheidend ist in jedem Fall, dass die Musiker authentisch sind, dass sie mit Leib und Seele bei der Sache sind. Thematische Festlegungen oder eine Art Motto gibt es nicht.“

 

Ein kleiner roter Faden sind aber wohl die drei „Tipps des Intendanten“ im Programmheft - eine Auswahl aus immerhin 45 Konzerten?
„Ja, das kann man so nennen. Es handelt sich bei ‚Alinde‘ und ‚Leonkoro‘ um Streichquartette, die eine ganz außergewöhnliche Bühnenpräsenz bieten und unbedingt hörenswert sind. Die Kombination von Johann Sebastian Bach mit der orientalischen Musikkultur, die Schaghajegh Nosrati mit ihren Kollegen präsentiert, verdient ebenfalls meine ganz besondere Empfehlung.“

 

Einige Künstler sind in dieser Saison mehrfach zu Gast in Weilburg - und zwar mit ganz unterschiedlichen Formaten. Was ist die Absicht dahinter?
„Ich möchte, dass die Zuhörer diese Ausnahmemusiker in unterschiedlichen Facetten erleben können. Also ein Auftritt mit einem großen Orchester und dann ein Solo-Konzert oder eines mit ganz wenigen Begleitern. Die wundervolle Pianistin Schaghajegh Nosrati etwa absolviert dieses enorm kräftezehrende Pensum an einem Abend mit Beethoven im Renaissancehof und gleich am nächsten Vormittag in der Oberen Orangerie mit Bach. Die faszinierende Geigerin Alina Baeva oder der tiefgründige Pianist Dmitry Ablogin kommen dagegen lieber an verschiedenen Wochenenden zu ihren Auftritten.“

 

Im vergangenen Jahr hat das Weilburger Publikum die britische Sängertruppe „Voces8“ begeistert gefeiert - was erwartet die Zuhörer in diesem Jahr mit dem Ensemble „Singer pur“ in der Schlosskirche?
„Die sind ebenfalls sehr gut, aber es ist ein völlig anderes Genre. Während die englischen Ensembles meist vom Chorgesang herkommen und mit Naturstimmen feinste Klangfarben erzeugen können, arbeiten die deutschen eher mit klassisch ausgebildeten Solo-Sängern und setzen mehr auf Unterhaltung. Daraus entsteht eine andere, aber genauso wunderbare Klanglichkeit.“

 

Ist es eigentlich Zufall, dass die Pianistin Ragna Schirmer in Halle wohnt und hier in Weilburg auch mit der Staatskapelle Halle auftritt?
„Nein, denn die Solistin und das Orchester passen optimal zusammen und haben das auch schon oft bewiesen. Ich glaube, Ragna Schirmer wird mit ihrer enormen Energie die Bühne ‚rocken‘ - gerade mit Mendelssohn, denn das ist ein fast jazziges Klavierkonzert mit prägnantem Rhythmus. Das wird sicher sehr spannend.“

 

Sebastian Kohlhepp wird dem Weilburger Publikum Schuberts „Schöne Müllerin“ singen. Was verbindet Sie mit diesem erfolgreichen Tenor, der regelmäßig bei den Salzburger Festspielen auftritt?
„Kohlhepp war einer meiner Studenten in Frankfurt. Jetzt macht er eine Mega-Karriere und steht mit den Großen auf der Bühne. Bei mir hat er seine erste Johannes-Passion gesungen. Schon damals habe ich damit gerechnet, dass aus ihm ein hervorragender Sänger werden wird.“

 

Warum wird Matthias Kirschnereit als Erzähler charakterisiert, obwohl er doch bei seinem Klavierspiel nicht spricht?
„Musiker können lernen, sich zu ihrer Melodie einen Text zurechtzulegen. Auf diese Weise bekommt ihr Vortrag einen eigenen Ausdruck. Beispielsweise braucht ein Sänger Bilder, damit sein Lied lebendig wird. Die muss er sich erarbeiten. Als Pianist gelingt es Matthias Kirschnereit in ähnlicher Weise, seinen Zuhörern den Eindruck zu vermitteln, dass er ihnen etwas ganz persönliches mitteilt. Er spielt nicht einfach Töne, sondern er sagt etwas aus. Deswegen schätze ich ihn sehr.“

 

Warum beginnen die Sonntagskonzerte am Abend jetzt erst um 19.30 Uhr, also eine halbe Stunde später?
„Die Sonne steht im Sommer so, dass sie um 19 Uhr im Renaissancehof die Musiker auf der Bühne noch stark blenden kann. Wir mussten deswegen öfters den Beginn der Konzerte hinauszögern und haben uns deshalb jetzt für den etwas späteren Anfang entschieden.“

 

Die Eintrittspreise sind gegenüber dem Vorjahr um rund zehn Prozent gestiegen. Warum musste das sein?
„Die Reisekosten der Musiker sind - dem allgemeinen Trend folgend - deutlich höher geworden. Also mussten die Schlosskonzerte die Preise etwas anheben. An den Honoraren der Künstler liegt es im Grunde eher nicht.“

 

Das Interview führte Klaus-Peter Andrießen

Sorgt für eine ausgewogene Mischung von Klassik mit Jazz, Folk, Kabarett und etwas Pop: Intendant Stephan Schreckenberger.
Foto: Klaus Andrießen

Stephan Schreckenberger

Der Sänger (Bass) und Dirigent Stephan Schreckenberger ist seit 2011 Intendant der Weilburger Schlosskonzerte. Er entwickelte eine neue Programmstruktur zwischen internationalem Renommee und lokaler Verortung.
Von 1989 bis 2005 war Schreckenberger Mitglied des solistisch besetzten Vokalensembles Cantus Cölln. International arbeitete er vor allem im Bereich Alte Musik. Es liegen rund 60 CD-Einspielungen vor. Eine langjährige Zusammenarbeit verband ihn mit Dirigenten wie Jordi Savall, Sigiswald Kuijken und Konrad Junghänel.
1999 gründete der Sänger das Ensemble „Musica Lingua“. Von 2003 an betreute er 15 Jahre lang Sänger und Gesangsensembles in der Abteilung Historische Interpretationspraxis an der Frankfurter Musikhochschule.
(Quelle: kan/Wikipedia)

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