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K.P. Andrießen:

Journalist

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Veröffentlicht im Weilburger Tageblatt und auf mittelhessen.de

Pianist reißt Zuhörer mit

Weilburger Musikfreunde feiern Matthias Kirschnereit und Göttinger Orchester

Von Klaus P. Andrießen

Weilburg. Mit riesigem Applaus hat das Weilburger Publikum Matthias Kirschnereit gefeiert, der in der Schlosskirche Edvard Griegs (1843-1907) romantisches Klavierkonzert durch brillantes Spiel und tiefe Empfindungen zu einem wundervollen Erlebnis machte. Als kongeniale Partner standen ihm am Freitagabend Dirigent Nicholas Milton und das Göttinger Symphonieorchester mit perfekter Musikalität zur Seite. In der zweiten Hälfte des Konzerts spielte das Orchester die „Schottische“ Symphonie, verzichtete aber trotz des großen Applauses auf eine Zugabe. So schafften es einige Musikfreunde noch zur zweiten Halbzeit des EM-Auftaktspiels an den Fernseher.

 

Dass an einem solchen Abend ein klassisches Konzert gegen die Fußballbegeisterung bestehen konnte, war ein sicheres Zeichen dafür, dass die Zuhörer sehr große Erwartungen an den viel gelobten und sehr erfolgreichen Pianisten hatten. Sie wurden nicht enttäuscht, sondern erlebten einen Musikabend mit Suchtpotential. Kirschnereit, der sich eher spät für die Pianistenkarriere entschieden hat, hat offensichtlich Freude daran, Musik in erlesener Qualität unter die Menschen zu bringen. In seiner norddeutschen Heimat etwa sorgt er als künstlerischer Leiter der inzwischen sehr bekannten „Gezeitenkonzerte“ für kleine aber feine Kulturinseln fernab des Glamours.

 

Grieg schrieb sein einziges Klavierkonzert a-Moll op. 16 im Jahr 1868. Inspiriert hatte ihn zehn Jahre zuvor Clara Schumann mit ihrer Interpretation des Klavierkonzerts a-Moll aus der Feder ihres Mannes Robert. Das Stück gelang ihm so gut, dass der Komponist und Pianist Franz Liszt es umgehend und voller Freude vom Blatt spielte, als er es ihm 1870 bei einem Treffen überreichte. Liszt gab dem geschätzten Kollegen sogar noch Hinweise für Vervollkommnungen mit auf den Weg. Grieg, der in seiner Zeit sehr bekannt und erfolgreich war, arbeitete in den folgenden Jahren immer wieder an Feinheiten seiner Komposition, bis sie 1907 ihre endgültige Fassung erreichte.

 

Kirschnereit und die Göttinger Musiker schlugen mit ihrem Vortrag das Publikum in der gut besuchten Weilburger Schlosskirche umgehend in den Bann der romantischen Musik, die eng mit der nordischen Landschaft und Natur verwoben ist. Selbst einen norwegischen Volkstanz, den Springtanz Halling, hat Grieg in seinem Werk zitiert. Das große Orchester, das auf der Bühne wegen des Flügels eng zusammenrücken musste, entfaltete unter Miltons umsichtiger und intensiver Leitung die musikalische Landschaft, in der Solist Kirschnereit den großartigen Klang seines Instruments erstrahlen ließ.

 

Das Werk lebt davon, dass zwischen dem Pianisten sowie den unterschiedlichen Bläsern und Streichern ein stetiger intensiver Dialog stattfindet. Für die Zuhörer ergibt sich ein vielschichtiger Vortrag, dessen einzelne Stimmen sich wie in einem Tanz miteinander bewegen. Immer wieder ist es dabei ein großes Hörvergnügen, wie sich die Passagen abwechseln. In der Interpretation Kirschnereits und der Göttinger schien es oft, als erklinge ganz kurz eine gemeinsame Stimme, bevor sich dann wieder die Klangfarben und Variationen voneinander trennen.

 

Der Solist lieferte ein sehr dichtes Spiel, das seine Zuhörer ganz tief in Griegs Gedankenwelt hineinführte. Dennoch verlor er sich nicht im schönen Ton, sondern war jederzeit präsent, achtete genau auf die Stimmen im Orchester und blieb in regem Blickkontakt mit dem Dirigenten. Nach dem dramatisch endenden ersten Satz war es das Adagio, das beispielhaft vor Ohren führte, wie wundervoll sich Orchester und Solist ergänzen. Dabei wurde auch besonders deutlich, wie gehaltvoll und lyrisch Kirschnereit sein Instrument klingen lässt. Ihm wird nachgesagt, er erzähle in seinem Vortrag. Diese schwer zu beschreibende Qualität vermittelte sich bei seinem Auftritt in Weilburg direkt und überzeugend.

 

Dem begeisterten Applaus folgend gewährte Kirschnereit seinem Publikum sogar zwei zauberhafte Zugaben: Frederic Chopins (1810-1849) Nocturne cis-Moll und „Mouvement“ aus Claude Debussys (1862-1918) „Images“.

 

Nach der Pause sorgte das Orchester mit Felix Mendelssohn Bartholdys (1809-1847) Symphonie Nr. 3 a-Moll op. 56 „Schottische“ für einen weiteren musikalischen Blick auf nordische Landschaften - nicht ohne Grund hieß das Motto des Abends „Polarlichter“. Die bekannten Themen aus diesem Werk erklangen so spritzig und temperamentvoll, dass die Zuhörer hingerissen und lange applaudierten.

Lässt den Komponisten aus seinem Werk sprechen: Matthias Kirschnereit bei der Arbeit.
Fotos: Klaus Andrießen

Fast volles Haus: Zuhörer in der Schlosskirche lauschen der „Schottischen“ Symphonie in der Interpretation von Nicholas Milton und dem Göttinger Symphonieorchester.

Baden im frenetischen Beifall: Solist Matthias Kirschnereit (l.) und Dirigent Nicholas Milton


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