Tosender Applaus für Geigerin
Von Klaus P. Andrießen
Weilburg. „Alena Baeva müssen Sie erlebt haben!“ Dieser Rat hat sich offenbar wie ein Lauffeuer unter den Weilburger Musikfreunden verbreitet. Denn am Samstagabend ist die Schlosskirche annähernd voll besetzt, als die junge Violinistin nach ihrem umjubelten Konzert am Sonntag zuvor ein zweites Mal bei den Schlossfestspielen zu Gast ist. Diesmal reißt sie das Publikum mit dem Violinkonzert von Johannes Brahms (1833-1897) zu Begeisterungsstürmen hin. Mit von der Partie ist das großartige Göttinger Symphonieorchester, das anschließend tosenden Beifall für die phantastisch gute Aufführung von Antonin Dvoraks (1841-1904) Symphonie „Aus der neuen Welt“ erhält.
Alena Baeva steht ruhig und konzentriert neben Dirigent Nicholas Milton auf der Bühne, als die Göttinger den ausholenden Orchesterpart mit seinem schönen Bläsersatz zu Beginn des Brahms’schen Werkes intonieren. Nach gut drei Minuten kommt ihr Einsatz. Sofort strahlt die Guarneri del Gesu von 1738 unter der begnadeten Führung Baevas mit einem Klang, der zu Tränen rühren kann. Dem einzigen Werk seiner Gattung von Brahms wurde oft nachgesagt, es sei mehr eine Symphonie als ein Violinkonzert und verweigere der Geige den rechten Auftritt. Doch wenn es von einer solchen Könnerin in genialer Zusammenarbeit mit einem ebenbürtigen Orchester dargeboten wird, dann zeigen sich solche Behauptungen als Schall und Rauch. Alena Baeva drückt der groß angelegten Komposition wie selbstverständlich ihren zauberhaften Stempel auf.
Manch ein Zuhörer in der Schlosskirche läuft Gefahr, das Atmen zu vergessen, so wundervoll fügt sich die Musik zusammen, so anrührend und ergreifend singt und fordert, klagt und jubelt die Geige. In der musikalischen Auseinandersetzung mit den teils dramatischen Parts des Orchesters setzt Alena Baeva höchst konzentriert und dennoch mit Anmut und dem Anschein von Leichtigkeit den Standpunkt des Soloinstruments durch.
Als sie allein vor den Göttingern die Kadenz - also das individuelle Einzelspiel - anstimmt, verneigt sie sich im Geiste vor dem Mann, der dem Komponisten ganz entschieden bei diesem Werk geholfen hat: dem Geiger Joseph Joachim (1831-1907). Baeva spielt seine Kadenz, die Brahms eigentlich viel zu lang fand, die aber mit ihren Melodien und technischen Finessen eine ausgesprochene Bereicherung des Werkes darstellt. Seit der Uraufführung sind für dieses sehr bekannte Stück eine Fülle weiterer Kadenzen von begnadeten Geigern geschaffen worden, doch Baeva und die Göttinger orientieren sich am Original. Es erübrigt sich fast schon zu sagen, dass die Kadenz alles in höchstem Maße enthält, womit die Geigerin ihr Publikum fasziniert.
Bei ihrem Vortrag versteht es die Solistin, durch ihre eleganten Bewegungen, ihre Mimik und Gestik die Musik sehr effektvoll zu unterstreichen. Dabei gelingt es ihr, das alles sehr natürlich wirken zu lassen. Diese erfrischende Ausstrahlung dürfte neben ihrem großen Können sehr zu ihrer Beliebtheit bei den Musikfreunden beitragen.
Dem langen ersten Satz folgt das tief berührende Adagio und anschließend der lebhafte Schlusssatz, mit dem die Musiker das Werk in Vollendung zum Abschluss bringen. Der Applaus will nicht enden. Man trampelt und klatscht, ruft „Bravo“ und ist schier aus dem Häuschen. Doch eine Zugabe lässt sich nicht erreichen, was jeder nachvollziehen kann, der die ungeheure Leistung der jungen Violinistin später in der Pause noch einmal an sich vorüber ziehen lässt.
Mit Dvoraks Symphonie Nr. 9 e-Moll op. 95 „Aus der neuen Welt“ steht im zweiten Teil des Abends ein weiterer Höhepunkt an. Es ist geradezu unglaublich, mit welcher Disziplin und Begeisterung die Göttinger unter der energischen Leitung Miltons das wunderschöne Werk lebendig werden lassen. Holz- und Blechbläser, Pauken und Schlagwerk, Kontrabässe, Celli, Bratschen und Geigen malen in satten Farben die neue Welt mit ihren Schönheiten und Gefahren, Verwicklungen und Entspannungen aus. Das große Publikum, das mit seiner schieren Anwesenheit bereits für eine wesentliche Verbesserung der Akustik in der Schlosskirche gesorgt hat, applaudiert und trampelt, zeigt seine Begeisterung. Wie wichtig den Zuhörern die Qualitäten insbesondere der Bläser waren, betonen sie, als Milton die einzelnen Stimmen mit einer Geste einlädt, sich zu erheben. Jedesmal brandet der Applaus noch stärker auf. Eine der Sternstunden der Saison bei den Weilburger Schlosskonzerten ist zu Ende.