Beethovens Musik begeistert
Von Klaus P. Andrießen
Weilburg.Es ist heiß und drückend im Weilburger Renaissancehof. „Notfalls gehen wir in die Schlosskirche“, sagt Schlosskonzerte-Intendant Stephan Schreckenberger. Das Risiko lohnt sich. Es wird ein traumhafter Samstagabend mit der wundervollen Pianistin Schaghajegh Nosrati (35) aus Bochum und den Bochumer Symphonikern unter Svetoslav Borisov. Nach dem riesigen Schlussapplaus knapp zwei Stunden später fallen die ersten Regentropen.
Auf dem Programm stehen ausschließlich Werke von Ludwig van Beethoven (1770-1827): zuerst das Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll op. 27 mit Schaghajegh Nosrati. In Wikipedia ist nachzulesen, dass es in den Jahren 1800 bis 1803 entstanden und Prinz Louis Ferdinand von Preußen gewidmet ist. Beethoven selbst sei der Solist bei der Uraufführung in Wien gewesen. Die Komposition gelte als sein erstes Klavierkonzert mit sinfonischen Merkmalen. Soweit die Theorie. Was in der Komposition steckt und welche Begeisterung sie durch Musiker vom Range Nosratis und der Bochumer Symphoniker auslösen kann, das erleben die Gäste der Weilburger Schlosskonzerte nun hautnah.
Herrlich frisch klingen die Symphoniker, von Beginn an leidenschaftlich dirigiert von Svetoslav Borisov. Kunstvoll bereiten sie den Raum, in den die Solistin den Klang ihres Instruments stellen wird. Der Orchesterpart endet, Schaghajegh Nosrati nimmt den musikalischen Faden auf und liefert von diesem prägnanten ersten Einsatz an ein außerordentlich feinfühliges Spiel. Es platziert sich akustisch ganz leicht vor dem Orchester und löst in leisen wie lauten Passagen beim Zuhören ein vollendetes Harmonieempfinden aus. Das Publikum hängt wie gebannt an den Ausführenden auf der überdachten Bühne.
Schon ist der erste Satz, das Allegro con brio, verklungen. Nun schleicht das Largo wie auf Samtpfoten herein, lässt die Zuhörer in zauberhaften Melodien schwelgen. Hier zeigt sich, was gemeint ist, wenn über die große Bedeutung der Stille zwischen den Noten gesprochen wird. Es entsteht bei einem solchen ergreifenden Vortrag eine enge Verbindung zwischen den Gedanken des Komponisten aus einem anderen Jahrhundert, der Auseinandersetzung insbesondere der Solistin mit dem Werk und den Gefühlen der Zuhörer. Sanft fließt Nosratis Spiel dahin und findet im entscheidenden Moment mit traumwandlerischer Sicherheit genau die erforderliche Kraft und Prägnanz des Anschlags, die ein Licht auf die Seele der Musik wirft.
Auch wenn sich während des Klavierkonzerts das Gefühl einstellt, als entfalte die Musik ein in sich geschlossenes Eigenleben, so ist man im Weilburger Schlosshof eben doch Teil dieser Welt: draußen ist ein Einsatzwagen unterwegs und verschafft sich mit seiner Fanfare freie Fahrt. Schnell wendet sich die ganze Aufmerksamkeit aber wieder der Pianistin zu: Schaghajegh Nosrati lässt ihr Instrument sprechen und singen, leuchtet die Schönheit der Beethovenschen Musik bis in feinste Details aus.
Diesem Hochgenuss folgt ein riesiger Applaus des Publikums, das - wohl angesichts des ungewissen Wettergeschehens und der Fußball Europameisterschaft - nicht ganz so zahlreich ist, wie es ein derart hochklassiges Konzert verdient hätte. Schaghajegh Nosrati schenkt ihren Zuhörern ein herrliche Zugabe. Ein Turmfalke begleitet sie dabei, fliegt über dem Schloss, rüttelt und ruft. Auf Nachfrage am Tag darauf berichtet sie, welche Zugabe es war: „Das dreistimmige Ricercar aus dem Musikalischen Opfer“ von Johann Sebastian Bach (1685-1750).
Nach der Pause - der Konzertflügel ist inzwischen durch kräftige Hände von der Bühne entfernt worden - fragt Schreckenberger die Zuhörer, ob sie weiterhin trotz des drohenden Wetters im Freien bleiben wollen. Sie bekunden ihre Zustimmung.
Nun erleben die Besucher eine großartige Interpretation von Beethovens Symphonie Nr. 4 B-Dur op. 60. Welch ein Genuss, dieses Meisterwerk von einem wunderbaren großen Orchester im schönen Renaissancehof zu hören. Immer wieder sind es in diesem Vortrag vor allem die Bläser, die mit ihren melodiösen Stimmen Glanzpunkte im Fluss der Musik setzen. Das gelingt natürlich nur deshalb, weil die Streicher in ihren unterschiedlichen Lagen und das Schlagwerk in feinster Weise agieren. In den enormen Schlussapplaus fallen die ersten Regentropen, so dass Publikum und Orchester gerne auf eine Zugabe verzichten. Ein ganz großes Konzert der Saison ist vorbei - und die zweite Halbzeit im Spiel Deutschland gegen Dänemark beginnt.