Klavierkonzert der Spitzenklasse
Von Klaus P. Andrießen
Weilburg. Pünktlich zu Konzertbeginn sind am Freitagabend die Regenwolken abgezogen, die noch kurz zuvor für nasse Stühle im Renaissancehof gesorgt hatten. Die fleißigen Helfer der Weilburger Schlosskonzerte hatten alle Hände voll zu tun, um alles wieder trocken zu wischen. Unter dem Titel „Überraschung“ bekamen die Zuhörer nun einen weiteren Höhepunkt der zu Ende gehenden Festivalsaison geboten: Alexander Krichels faszinierende Interpretation von Beethovens bedeutendem 4. Klavierkonzert. Mit von der Partie war die hervorragend aufspielende Philharmonie Baden-Baden unter der agilen Leitung von Heiko Mathias Förster. Enormer Beifall füllte den Hof und machte vergessen, dass der Abend nicht ausverkauft war.
Leise, fast zärtlich eröffnet Alexander Krichel Ludwig van Beethovens (1770-1827) Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur. Nun setzt das Orchester ein. Die Baden-Badener Violinen klingen satt und seidig, die Celli und Bässe sonor und trocken. Klar und weich setzen die Melodien der Bläser farbige Tupfen. Der Solist schaut in den nunmehr blauen Himmel - vermutlich erleichtert.
Alexander Krichel, der mit berühmten Orchestern auf der ganzen Welt auftritt, spielt auch im Residenzstädtchen über der Lahn höchst konzentriert und voller Leidenschaft. Fein balanciert er den Ton, ob in dramatisch-dynamischen Passagen oder im hauchfeinen Pianissimo. Sein Anschlag ist kunstvoll, findet immer die richtige Kraft, um Beethovens zu seiner Zeit avantgardistisches Werk zu einem vollendeten Genuss zu machen. Der Solist kostet die lyrischen Schönheiten der Komposition aus - und er zaudert nicht, höchst virtuose Stellen beherzt anzupacken. Der Flügel trillert und grollt, singt und treibt. Die Zuhörer erleben keinen klischeehaft triumphalen Klassiker, sondern eine zutiefst berührende Musik.
Das Zusammenspiel von Solist und Orchester ist in diesem Werk Beethovens ein bedeutendes Thema. Jan Swafford fasst das in seinem Begleittext zur Einspielung des Klavierkonzerts mit Martin Helmchen und dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin so zusammen: „Das Werk ist innovativ und kühn, mit einer einzigartigen Mischung aus Introspektion und Bravour. Schon lange vor Beethoven bestand ein Hauptproblem in Solokonzerten in der Beziehung zwischen Solist und Orchester: Arbeiten sie zusammen oder stehen sie im Wettstreit zueinander? Im Vierten Konzert entwickelte Beethoven dieses Drama zu einer beispiellosen Intensität.“
Der Dialog zwischen Krichel, Förster und den Orchestermusikern erscheint im Weilburger Renaissancehof prägnant wie in einem Bilderbuch. Genau registrieren die Musiker, wie sich die Musik entwickelt, reagieren präzise auf das Spiel der jeweils anderen und überlassen nichts dem Zufall: Spitzenklasse! Während eines Soloparts lauschen alle wie gebannt dem Vortrag Krichels - und selbst die sonst dauernd zwitschernden Vögel im Hof verstummen. Als das frohe Finale des dritten Satzes das Erlebnis klangvoll beendet, brandet riesiger Beifall auf, auch das Orchester zollt dem Solisten Respekt.
Freundlich wendet sich Krichel an seine Zuhörer: „Es ist das zweitletzte Konzert der Saison, Sie haben Musik aus aller Welt gehört. Deshalb spiele ich als Zugabe Schumanns erste Kinderszene ,Von fremden Ländern und Menschen.’“ Das Publikum genießt, klatscht erneut voller Begeisterung und wird mit einer zweiten Zugabe beschenkt. Krichel spielt Chopins letztes Nocturne cis-Moll in all seiner Schönheit und Eleganz mit tiefem Gefühl.
Nach der Pause zieht die Philharmonie Baden-Baden das Publikum in ihren Bann, lässt Franz Schuberts (1797-1828) Symphonie Nr. 6 C-Dur erstrahlen. Dirigent Förster sorgt für eine prägnante Interpretation, die den Komponisten erfreut haben dürfte. Schubert hatte dieses Werk durchaus seiner „großen“ Symphonie Nr. 9 C-Dur (D 944) vorgezogen. In Weilburg konnten sich die Zuhörer davon überzeugen, dass das seinen guten Grund hatte. Hier waren es neben dem satten Streicherklang insbesondere die zauberhaften Parts der Bläser, die das Werk zu einem außerordentlichen Genuss werden ließen. Wie mitreißend die Philharmonie musizierte, zeigte sich auch daran, dass schon nach dem ersten der vier Sätze dieses Werkes erster Beifall aufkam.
Dem nachhaltigen Applaus folgend, lieferten die Baden-Badener dann noch eine hochkarätige Zugabe: das Menuett aus Schuberts dritter Symphonie D-Dur. Ein großartiger Konzertabend im Renaissancehof hatte sein Ende gefunden, das Publikum applaudierte kräftig.
Spiel voller Innigkeit und Leidenschaft: Alexander Krichel interpretiert Beethovens Klavierkonzert Nr. 4 im Renaissancehof.
Fotos: Klaus Andrießen
Dirigent Heiko Mathias Förster und die Philharmonie Baden-Baden glänzen mit Schubert bei den Weilburger Schlosskonzerten.
Pianist Alexander Krichel und die Philharmonie Baden-Baden danken für den verdienten großen Beifall bei den Weilburger Schlosskonzerten.